Teurer Zugang zu Innovationen Sachverständigenrat fordert, Arzneimittelpreise stärker an den Patientennutzen zu koppeln

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Wirtschaftsförderung ist keine GKV-Aufgabe Wirtschaftsförderung ist keine GKV-Aufgabe © Vadym - stock.adobe.com

Innovative Arzneimittel sind oft sehr teuer. Kann das Gesundheitssystem dieser Belastung auf Dauer Stand halten? Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege rät zu einer Änderung bei den Erstattungsregeln.

Mit Kosten von über zwei Mio. Euro gelten die Gentherapien Zolgensma®, Libmeldy® und Hemgenix® als die teuersten Arzneimittel weltweit. Aber auch andere, häufig genutzte Medikamente dringen mit ihren Preisen bis in die 100.000-Euro-Region vor. Lag der durchschnittliche Preis eines neu eingeführten patentgeschützten Arzneimittels vor 15 Jahren bei rund 1.000 Euro, schwankte er zuletzt um die 50.000 Euro. „Vor diesem Hintergrund stellen wir mit unserem aktuellen Gutachten die Preisbildung für innovative Arzneimittel auf den Prüfstand“, meint Prof. Dr. Leonie Sundmacher, Gesundheitsökonomin an der TU München und Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege.  

„Dem hohen Aufwand an Personal- und Sachkosten steht kein entsprechend überdurchschnittliches Ergebnis an Lebenserwartung oder Lebensqualität gegenüber“, heißt es in dem Gutachten, das der Rat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken überreicht hat. Deutschland zeichne sich im internationalen Vergleich durch eine hohe Verfügbarkeit und zügige Erstattungsfähigkeit neuer Arzneimittel aus, allerdings werde das teuer erkauft. Der Rat legt dem Gesetzgeber nahe, die Erstattung stärker am patientenrelevanten Mehrwert zu koppeln. Höhere Preise seien nur für Arzneimittel mit echtem Zusatznutzen gerechtfertigt. 

Rabattpflicht macht aus dem Initialpreis einen Interimspreis

Empfohlen wird die Einführung eines extern festgelegten Interimspreises. Dessen Höhe orientiert sich – bis auf begründete Ausnahmen – an der wirtschaftlichsten Alternative der festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie. Der weiterhin vom Hersteller frei wählbare Initialpreis soll bis zum Abschluss der Preisverhandlungen durch einen verpflichtenden Rabatt auf den Interimspreis abgesenkt werden. Nach den Preisverhandlungen sei die Differenz zwischen dem Interimspreis und dem vereinbarten Erstattungsbetrag auszugleichen. 

Dieser Vorschlag bedeutet eine Abkehr vom bisherigen System, bei dem der Hersteller für das erste Halbjahr nach der Marktzulassung den Preis seines Produkts selbst bestimmt. Die Kassen haben ihn zu zahlen. Erst danach folgt eine Anpassung entsprechend der Zusatznutzenüberprüfung durch den G-BA. 

Mit der Umstellung sollen Wohlfahrtsverluste durch Monopolpreise vermieden werden, aber Innovationsanreize erhalten bleiben. Es soll ein „lernendes System“ sein, erläutert Ratsmitglied Prof. Dr. Nils Gutacker, Gesundheitsökonom an der Universität York. Dabei werden auch nach der Markteinführung Erkenntnisse zum Nutzen eines Medikaments gesammelt und für Preisnachverhandlungen genutzt. „Im Prinzip geht das jetzt schon, es wird nur nicht konsequent gemacht – und wenn, dann oftmals auf Drängen der Hersteller.“ Die Selbstverwaltung prüfe nicht oft genug, ob der Preis eines Arzneimittels noch gerechtfertigt sei. Sie müsse auch das Recht haben, sich selbst zu vergewissern, ob ein Medikament hält, was es verspricht. „Hierzu bedarf es manchmal industrieunabhängiger Studien. Es muss dem G-BA erlaubt werden, solche in Auftrag zu geben und zu finanzieren.“

„Wir brauchen Innovationen und Fortschritt bei Arzneimitteln, das darf jedoch kein Freifahrtschein für unbegrenzte Preisforderungen sein“, kommentiert Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK-Dachverbandes, das Gutachten. Sie sieht dieses auch als Absage an industriepolitisch motivierte Preisprivilegien. „Die Förderung des Wirtschaftsstandortes ist nicht Aufgabe der GKV.“ Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesverbandes, meint, das Gutachten sollte Basis beim Pharma-Dialog sein. 

Irritierend an den Debatten findet der Verband forschender Arzneimittelhersteller die Fokussierung auf die Packungspreise, „so als wären wir in der Zeit vor zwei Jahrzehnten stehen geblieben“. Bei Gentherapien handele es sich z. B. um hochinnovative Einmalanwendungen